Time for Change
Die 3 Frauen und 2 Männer der Expedition Y Gruppe kennen sich bereits seit 3 Wochen. Alle hören gespannt Julian zu, der 33-Jährige, bisher unnahbare, erfolgreiche Investment-Banker, der sich in diese Gruppe verirrt zu haben scheint. “Ich habe das in den letzten Wochen noch nicht erzählt. Wo ich gerade hängen geblieben bin, das ist meine Herkunftsfamilie. Die Übungen der letzten Woche haben mich zuerst gar nicht beeindruckt, aber dann ist mir eine Erinnerung nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Mein Vater hatte nie sehr viel Geld. Meine Eltern sind mit 3 Kindern von Rumänien nach Österreich gezogen und konnten nie besonders gut mit Geld umgehen. Wir hatten meist zu wenig, und wenn mal eines da war, dann hat es mein Vater für Dinge ausgegeben, um uns Kinder bei Laune zu halten. Ich erinnere mich, dass wir an einem Frühlingstag gemeinsam im Vergnügungspark waren und mit einer Bahn nach der anderen gefahren sind. Mein Vater hat an dem Tag bestimmt viel Geld für uns ausgegeben. Das war lange der schönste Tag für mich. Ich war damals neun.” Julian ist gerührt. Man hört es an seiner etwas brüchigen Stimme und daran, dass sein Blick diesmal nicht durchbohrend standfest ist, sondern leicht nach unten wandert. Er hält kurz inne, sammelt sich und erhebt seine Stimme in gewohnter Julian - der Banker - Manier: “Schnee, von gestern. Was machen wir heute?”. Noch bevor ich reagieren kann, protestiert die Gruppe:”Nein, Julian erzähl weiter!” und “Jetzt wird es spannend. Ich möchte es hören.” Ich animiere Julian weiter zu erzählen, in dem ich ihn frage: “Was denkst du, Julian, hat diese Erinnerung mit deiner Situation heute zu tun?”
“Also gut. Womöglich ist mir Geld sehr wichtig, weil ich es in meiner Kindheit nicht hatte. Ich erinnere mich an einen Moment, in dem ich mir geschworen habe, selbst nie solche Geldprobleme zu haben. Mein Leben sollte ein einziger, langer Tag im Vergnügungspark sein.” - “Das scheinst du erreicht zu haben, nicht?” - “Ja, das stimmt. Ich meine, ich habe alles, was ich mir erträumt habe. Ich wohne zentral. Habe eine teuer, schöne Wohnung. Ich arbeite viel, aber ich verdiene auch richtig gut. Ich bin zufrieden.” Jetzt hebt Beatrice aus der Gruppe die Hand: “Darf ich etwas dazu sagen?” - “Nur zu.”, ist meine Reaktion. Ich finde es immer erstaunlich, wie Kommentare aus der Gruppe einen Prozess anregen und beschleunigen können und bin gespannt, was Beatrice zu sagen hat. “Also wenn ich direkt frei von der Leber sprechen darf…” Julian macht eine zustimmende Handbewegung “Nur zu.” - “… dann denke ich, du belügst dich selbst. Klar, du hast alles was du immer wolltest, aber ich glaube dennoch, dass du an dieser Stelle nicht ehrlich mit dir selbst bist. Ich verstehe das gut. Ich selbst bin Head of Marketing in einem Konzern, und ich weiß, wie schwierig es ist sich einzugestehen, dass es an der Zeit ist, etwas zu verändern. Dein Leben klingt super, aber warum bist du hier? Du bist kein Typ, der einen Selbsterfahrungstrip nach dem anderen macht, nur weil es ihm unter den Nägeln brennt. Was du machst, das machst du aus einem bestimmten Grund. Wenn du mich fragst: Da steckt mehr dahinter. Vielleicht ist jetzt der perfekte Moment, um mit der Wahrheit rauszurücken.” Julian zeigt kaum eine Regung. Sein Gesicht verrät nichts.
“Was denkst du zu dem, was Beatrice gerade gesagt hat?” hake ich nach.
“Du hast Recht. Ich bin hier aus einem Grund und ich erreiche das, was ich mir vorgenommen habe. In diesem Jahr habe ich mir vorgenommen, glücklicher und zufriedener zu werden. Ich will mein Leben genießen. Der Vergnügungspark ist zur Routine geworden und reizt mich nicht mehr. Ich habe kürzlich einen Film gesehen: The Minimalist. Der hat mich inspiriert. Die Protagonisten haben ihr Luxus-Leben und ihre gut bezahlten, sicheren Jobs aufgegeben, zugunsten eines entspannteren Lebens. An diesem Gedanken gibt es etwas Reizvolles. Um ehrlich zu sein, spiele ich mit dem Gedanken, meinen Job zu kündigen. Das würde eine radikale Veränderung nach sich ziehen. Wie ich schon eingangs gesagt habe, ich bin in dieser Gruppe, weil ich mich selbst besser kennen lernen möchte. Ich möchte wissen, ob mich das glücklicher machen würde. Was denkst du dazu, Lisa?”
Eine spannende Frage. In dieser Q&A-Session reden wir noch darüber, was es bedeutet, frei zu sein. Ich hatte den Eindruck, dass Julian sich nicht erlaubt, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und sein Leben so zu wählen, wie es heute zu ihm passt. Als Kind hat er die Entscheidung getroffen, ein Leben zu führen, das einem “langen Tag im Vergnügungspark” entspricht. Er weiß jetzt, dass er die Ziele, die er sich setzt, auch erreichen kann. Aber ist es immer noch das, was er will? Oder ist die Entscheidung, die er als Kind getroffen hat, zu einem goldenen Käfig geworden? Ist die Freiheit durch das Geld zu einer leeren Hülle verkümmert, die ihn als Selbstzweck nicht glücklich machen kann?
Im Laufe der Expedition Y konnte Julian von den Einsichten und Erfahrungen der anderen profitieren. Er entdeckte, dass manche Menschen von nur 1.700 EUR netto im Monat gut leben können, und nicht, wie er dachte, 2.500 EUR netto das Minimum seien, um sich frei und sicher zu fühlen und einen guten Lebensstandard leisten zu können. Eines Abends überrascht Julian uns alle mit einer Neuigkeit: “Hey Leute, lacht mich jetzt bloß nicht aus. An Familienfeiertagen bin ich immer derjenige, der Zuhause die Nachspeise zubereitet. Ich backe dann exotische Kuchen, kleine Törtchen - es ist immer etwas anderes ausgefallenes. Ich liebe es. Ich habe noch nie daran gedacht, daraus etwas zu machen, obwohl mich schon einige Freunde meiner Familie nach Rezepten gefragt haben. Diese Woche geht es ja darum, ein Ziel zu finden, und ich denke, meines ist, ich möchte Süßspeisen verkaufen.” Beatrice meldet sich als erste:” Wenn du im Marketing Unterstützung brauchst, du weißt ja, wo du mich findest.” und grinst Julian schelmisch an. “Ich habe noch keinen detaillierten Plan, aber ich bin mir jetzt sicher, dass ich mein Leben neue arrangieren will. In den letzten Wochen wurde mir bewusst, dass ich froh bin, dass ich meinen bisherigen Weg gegangene bin. Ich habe geschafft, was ich mir vorgenommen hatte. Das kann mir niemand mehr nehmen. Aber es wird Zeit ein neues Ziel am Horizont zu suchen und die Segel zu hießen. Time for a Change. Ich fange gerade an, Kontakte in der Start-Up-Szene zu knüpfen und mich dort zu vernetzen.” Sofort bringt sich Marko ein: “Ich kenne die Austrian Start-ups gut. Melde dich, wenn du Kontakte oder irgendwas brauchst.” - “Danke. Das mach ich.” Julian wirkt fröhlicher und lebendiger in seiner Stimme und heute trägt er das erste Mal sein Hemd locker und etwas aufgeknüpft. Er sieht entspannt und dennoch voller Tatendrang aus.
Am Ende der Expedition Y hat Julian ein Konzept erarbeitet. Er weiß, wo er hin möchte und er kennt seine ersten Schritte und den Weg dahin. Damit nicht genug. Beatrice wird Teil seines Start-Up Gründungsteams. Sie möchte schon lange ihre Arbeit auf Teilzeit reduzieren und im Marketing jemanden unterstützen, der sein/ihr Herzensprojekt realisiert. Die beiden wissen, dass sie sich gut miteinander verstehen und ein tolles Arbeitsteam bilden werden.
Diese Coaching-Story hat exakt in dieser Form nicht stattgefunden. Es haben sich aber tatsächlich bei einer Expedition Y zwei Teilnehmerinnen zusammengetan und gemeinsam ein Projekt gestartet, für das sie bei der österreichischen Wirtschaftsagentur eine Förderung beantragt haben. Sobald verfügbar, wirst du bei verbesserlich mehr über ihr Projekt lesen und hören können :)